Die meisten bakteriellen Krankheitserreger produzieren sogenannte OMVs – Outer Membrane Vesicles. Das sind Ausstülpungen ihrer Außenhaut, die sich abschnüren und abstoßen können. Welchen Nutzen dieser sehr energieaufwändige Prozess bringt, konnten ForscherInnen der Universität Graz nun erstmals klären: Die Mikroorganismen passen sich so schneller an die für sie widrigen Bedingungen im Wirt an, um der Immunabwehr zu entgehen. Die Ergebnisse der aktuellen Studie werden in der Feber-Ausgabe des Fachjournals Cell Host & Microbe publiziert und sind seit Kurzem online verfügbar.
Franz Zingl vom Institut für Molekulare Biowissenschaften der Universität Graz fokussierte im Rahmen seiner Doktorarbeit bei Stefan Schild auf OMVs des Cholera-Erregers Vibrio cholerae. Dieser überlebt zwischen den Epidemien im Wasser und muss dort mit ganz anderen Bedingungen zurechtkommen als im Wirt. Um sich ausreichend ernähren zu können, hat er an der Außenhaut zahlreiche Aufnahmesysteme von Nährstoffen, unter anderen das sogenannte Porin OmpT.
Im menschlichen Körper würde das Bakterium über dieses Porin Gallensalze und antimikrobielle Peptide aufnehmen, die es abtöten. „Es bildet also kein neues OmpT mehr. Bisher war allerdings nicht bekannt, wie die bereits vorhandenen Schleusen entfernt werden können“, führt Stefan Schild aus. In der aktuellen Studie konnten die Wissenschafter nun zeigen, dass die Krankheitserreger beim Eintritt in den Wirt massiv Außenhaut-Ausstülpungen abstoßen. Auf diese Art und Weise können sie sich rasch der nicht mehr benötigten Porine entledigen. Ebenfalls „entsorgen“ sie auf diesem Weg sogenannte Lipopolysaccharide – kurz LPS –, die in der Außenhaut sitzen und keine ausreichende Barriere gegen die Immunabwehr des Körpers darstellen. Die im Wirt neu gebildeten LPS sind dahingehend verändert, dass sie sich fest aneinanderketten können und die Membran undurchlässiger machen.
„Die Vesikulierung, also das Abstoßen der OMVs, verschafft den Erregern einen klaren Wettbewerbsvorteil bei der Kolonisierung des Wirts“, fasst Schild zusammen. In Gang gesetzt wird der Prozess, wenn die Bakterien Eisenmangel verspüren, weil sie das Spurenelement – wie auch wir Menschen – für alle biologischen Vorgänge benötigen. Eine Abwehrstrategie unseres Körpers ist es, Eisen so zu binden, dass es schädlichen Eindringlingen nicht zur Verfügung steht, was in den Bakterien Stress verursacht.
Darüber hinaus gibt es Indizien dafür, dass der Kontakt zu Antibiotika oder Desinfektionsmittel in niedrigen Dosen ebenfalls ein Abschnüren der Außenmembranvesikel auslöst. „Rückstände von keimtötenden Medikamenten in Wasser oder Nahrung sind also problematisch, weil sie den Pathogenen einen Fitnessvorteil verschaffen können“, betont der Molekularbiologe.
Die Mechanismen, die das Grazer Team an Vibrio cholerae im Detail untersucht hat, sind für nahezu alle bakteriellen Krankheitserreger gültig – beispielsweise für Salmonellen, Pseudomonaden oder Neisserien. Die Erkenntnisse sind auch für mögliche neue Therapieansätze gegen Infektionserkrankungen von Nutzen: Die WissenschafterInnen suchen nun nach einer Substanz, die die Vesikulierung hemmt. Damit könnte die körpereigene Immunabwehr leichter mit den Eindringlingen fertig werden. Gleichzeitig bliebe – anders als bei der Einnahme von Antibiotika – das natürliche Mikrobiom im menschlichen Darm verschont.
Die Forschungen sind Teil des universitären Profilbereichs „BioHealth“ und wurden vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF sowie vom BioTechMed-Graz-Projekt „Secretome“ gefördert.