Pilze sind wahre Meister im Zersetzen von pflanzlichem Material. Jahrzehntelang ging man davon aus, dass sie diese Fähigkeiten nicht besitzen, wenn sie gemeinsam mit Algen und Bakterien eine symbiotische Gemeinschaft – bekannt als Flechten – bilden. Diese Lehrmeinung stellen nun EvolutionsbiologInnen der Universität Graz auf den Kopf. Sie haben entdeckt, dass auch viele Flechtenpilze die genetische Ausstattung besitzen, um Holzbestandteile wie zum Beispiel Zellulose zu zersetzen.
„Wenn in der Küche eines Vegetariers plötzlich Utensilien zur Fleischverarbeitung auftauchen, wirft das viele Fragen auf“, schildert Philipp Resl, Evolutionsbiologe an der Universität Graz. So ist es ebenso bei der Ernährung von Flechtenpilzen. Man ging bisher davon aus, dass sie für die Versorgung ganz auf ihre Algen-Partner angewiesen sind und das genetische Programm zum Abbau von organischem Material verloren haben. Denn die Algen betreiben Fotosynthese und liefern dadurch die für die Energieversorgung notwendigen Kohlenhydrate an den Pilz.
Entgegen der bisherigen Lehrmeinung hat der Biologe nun gemeinsam mit einem internationalen Team festgestellt, dass einige Flechtenpilze ein ähnlich großes Arsenal an Genen zur Zersetzung von organischem Material besitzen wie andere, etwa in der Biotechnologie eingesetzte Pilze. „Am Beispiel von ausgewählten Genen konnten wir zeigen, dass die Zellulose-Zerlegung noch immer funktioniert“, beschreibt der Erstautor der Publikation, die heute, am 12. Mai 2022, im renommierten Journal Nature Communications veröffentlicht wurde.
Die Kohlenhydrate, die die Algen produzieren, vermutet Resl, dürften vielmehr Schutzfunktionen innerhalb der Flechte ausüben, damit die Gemeinschaft mit Trockenheit und anderen extremen Bedingungen besser umgehen kann.
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