Maroni, die nicht in Zeitungspapier verkauft werden dürfen. Leise und stromsparende Staubsauger. Gurken, die zwecks effizienter Verpackung einen bestimmten Krümmungsgrad aufweisen müssen. Wie viel ist dran an dem Eindruck, die EU dürfe alles regulieren und greife mit unsinnigen Gesetzen zu sehr in den Alltag ein? „Beides stimmt so nicht. Allerdings kann ich den aus dieser Wahrnehmung heraus entstehenden Unmut der Bevölkerung nachvollziehen“, erklärt Hubert Isak vom Institut für Europarecht der Universität Graz. „Nach dem Grundsatz der Subsidiarität darf die Union aber in den meisten Politikbereichen nur dann rechtsetzend tätig werden, wenn die mit der europäischen Regelung verfolgten Ziele von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können“, schildert der Wissenschafter. Zweitens haben die nationalen Parlamente acht Wochen Zeit, die Gesetzesentwürfe zu begutachten und in Form begründeter Stellungnahmen der Kommission ihre Bedenken zur Kenntnis zu bringen. Erreichen dieser Stellungnahmen eine bestimmte Zahl, muss die Kommission den Entwurf des Gesetzgebungsaktes zumindest überprüfen; ein Vetorecht haben die nationalen Parlamente aber nicht. „Die Rechtsetzung innerhalb der Union ist mühsam und aufwendig. Deshalb werden am Ende des Tages nur jene Maßnahmen realisiert, die genau die Ziele erreichen wollen, die sich Union und Mitgliedstaaten gemeinsam gesteckt haben – wie etwa Energieeinsparung“, so der Rechtsexperte.
Warum entsteht trotzdem der Eindruck, die EU kümmere sich mit großer Hingabe um Details, wenn gleichzeitig andere Herausforderungen unlösbar scheinen? „Der nahende Brexit, die Auswirkungen der Migration seit 2015 oder das Fehlen einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sind Dinge, die den BürgerInnen momentan sicher mehr Sorgen bereiten. Tatsächlich lässt die Koordinationskompetenz der EU bei diesen übergeordneten Fragestellungen zu wünschen übrig“, unterstreicht Richard Sturn vom Institut für Finanzwissenschaft und Öffentliche Wirtschaft der Universität Graz. „Es fehlt ein Leitbild, das zeigt, wofür die EU eigentlich steht. Einerseits gibt es überall in Europa starke Tendenzen der Nationalisierung. Andererseits sind Sozialstaaten – wie auch Österreich einer ist – für viele andere Länder weltweit Vorbild. Zwischen diesen beiden Richtungen wird das Konstrukt EU zerrieben“, erklärt der Forscher.
Vor diesem Hintergrund bieten sich „kleinere Spielfelder“ gut an, um Einheit zu demonstrieren und aufzuzeigen, was bereits erreicht wurde. Gerade weil die welt- und europapolitisch relevanten Fragen derzeit aber dramatische Ausmaße annehmen, wirken diese Eingriffe der EU aber zunehmend fehl am Platz, oder wie ein „Tanz auf dem Vulkan“, kritisiert Richard Sturn. „Allerdings muss man fairerweise dazu sagen, dass es keine einfachen Wege zu guten Lösungen gibt. Mittlerweile sind sehr viele Player im Spiel, die mit Konflikten ihre Geschäfte machen.“ Auch exzessive Verrechtlichungen, die teilweise als Alibi-Schutz für große Unternehmen aus Übersee missbraucht werden, fördern den Unmut der EuropäerInnen gegenüber der Staatengemeinschaft.
Hubert Isak weist auf ein grundsätzliches Kommunikationsproblem hin: die große Kluft zwischen den auf EU-Ebene geführten Diskussionen und dem, was bei den BürgerInnen ankommt. Stichwort: „Wasserprivatisierung“. „Hier ging es darum, dass, wenn sich eine Gemeinde entscheidet, die Wasserversorgung einem kommerziellen Anbieter zu überlassen, sie diesen Job nach den EU-Vergaberichtlinien ausschreiben muss. Von Privatisierung des österreichischen Wassers, wie vielfach befürchtet wurde, war nie die Rede“, fasst der Wissenschafter zusammen. „Im Übrigen wäre für Maßnahmen, die die mengenmäßige Bewirtschaftung der Wasserressourcen berühren oder die Verfügbarkeit dieser Ressourcen mittelbar oder unmittelbar betreffen, Einstimmigkeit im Rat erforderlich, sodass Österreich einen solchen Beschluss jederzeit verhindern könnte“, präzisiert Isak.
Sowohl Richard Sturn als auch Hubert Isak empfehlen, mehr Themen auf einer lokalen, nationalen Ebene regeln zu lassen – wie etwa den Stadtverkehr. „Wir müssten weg von der Idee, so viele Fragen auf höchstem Level zu besprechen und die Lösungsansätze in für alle geltende Regeln zu gießen. Wenn man mehr individuelle Spielräume für die einzelnen Mitgliedsstaaten in ihrem Alltag zulässt, so wären diese bei übergeordneten Fragen eventuell kompromissbereiter und entgegenkommender“, führen die Forscher aus.